Wenn der Hitler in mir, den Schutzbedürftigen in mir, umarmt
Vom Umgang mit widersprüchlichen Gefühlen
In mir war die letzten Tage mal wieder ein ziemlicher Aufruhr. Ausgelöst durch die Verlängerung des Shut down, die teilweise widersprüchlichen Infos, die durch die Massenmedien verbreitet wurden und durch die zunehmend wachsenden Fronten in den Sozialen Medien.
Der Freiheitsliebende in mir, fühlt sich zusehends gegängelt durch die, seiner Meinung nach, Angst gesteuerten Massnahmen der Regierung. Er ist fassungslos, dass Politiker, wie Söder, eine Zustimmungsrate von 90% bekommen. Dieser Teil ist genervt davon, dass er beruflich als selbstständiger Coach nichts planen kann. Er fühlt sich, ob einer absolut unsinnigen Maskenpflicht immer mehr eingeschränkt und immer mehr wird dieser Teil in mir zum Hitler, der keinerlei Argumente der Gegenseite mehr hören, zulassen, geschweige denn nachvollziehen kann. Dieser Teil will einfach nur ausbrechen, rebellieren und den Politikern und ihren Anhängern ihre angstvolle Maske vom Gesicht reissen. In diesem Zustand taucht eine Ohnmacht in mir auf, die diesen wütenden Berserker nur noch rasender werden läßt. Unsere, meine Bürgerrechte werden in den Schmutz getreten und darauf herumgetrampelt und das alles binnen weniger Wochen. Als Utopie vor einem halben Jahr noch unvorstellbar und jetzt knallharte Realität und um mich herum nur noch willfährige Schafe, die sich zur Schlachtbank unserer Freiheit führen lassen.
Wenn dieser Teil in mir am wüten ist, gibt es keine Vorstellung von, Ruhe, Frieden und Harmonie in mir und auch nicht mit meinen Mitmenschen. In diesem Zustand bin ich ein sehr unangenehmer Zeitgenosse für meine Familie und für mich selbst.
Auch durch noch so viele Posts bei FB und Unterschriften zahlloser Online-Petitionen ändert sich dauerhaft nichts an meinem Zustand. Im Gegenteil durch den Aktionismus im Aussen verschlimmert sich mein Zustand noch. Denn ich bekomme ja entsprechend Gegenwind von den „Schafen“. Darauf muss ich dann wieder reagieren und der Gegenwind wird noch stärker und nicht ein Einziger läßt sich von mir auf diese Weise überzeugen, aber eine Unmenge an Lebensenergie ist verpulvert und verloren und mir geht es schlechter als zuvor.
Geändert hat sich erst etwas als ich mal wieder innegehalten habe und mich gefragt habe, warum regt dich dieses von Angst gesteuerte Verhalten so sehr auf? Warum musst du so dagegen aufbegehren?
Die Antwort kam schnell und klar.
Es gibt auch einen schutzbedürftigen Teil in mir. Der ist zwar vom Freiheitsliebenden gerade ziemlich überdeckt, aber es gibt ihn und er möchte gesehen werden. Er möchte als ein Aspekt der Persönlichkeit von Stefan genauso da sein dürfen wie der freiheitsliebende Teil. Nicht mehr und nicht weniger. Diesen Teil zu verbannen, wegzuschneiden, weil er mir gerade nicht in den Kram passt, bedeutet etwas Wesentliches abzuspalten, was schlussendlich zu Trennung führt.
Nun weiss ich als Coach und Psychotherapeut, dass innere Spaltung unweigerlich Konflikt in mir hervorruft. Unfrieden, Disbalance, mit all den unangenehmen Effekten, die ich oben beschrieben habe. Eine innere Aufruhr stellt sich früher oder später ein. Wenn ich Frieden und Harmonie und Ausgewogenheit in mir erleben und erfahren möchte, dann bleibt mir nichts anderes übrig als mich dem ungeliebten schutzbedürftigen Teil in mir zuzuwenden und ihm den Platz in meiner Persönlichkeit zuzugestehen, der ihm gebührt, genauso wie der Freiheitsliebende seinen Platz haben darf.
Seit ich das getan habe, ist wieder Ruhe eingekehrt. Ich habe meine Mitte wiedergefunden. Ich fühle mich wieder geerdet und zentriert und in der Lage Entscheidungen zu treffen, die beiden Anteilen in mir gerecht werden. Diese Entscheidungen haben viel mehr Kraft, Weitsicht und Substanz, als wenn ich diese aus dem Blickwinkel nur eines Anteils treffe. Das ist dann eben nur die halbe Wahrheit. Die halbe Wahrheit ist viel leichter zu erlangen, hat aber keinerlei Kraft und ist weit entfernt von intelligenten, weitsichtigen Lösungen. Geschweige denn, weisen Entscheidungen!
Was ich hier über meinen eigenen Prozess berichte, läßt sich wie eine Schablone auch auf die Prozesse in unserer Gesellschaft legen.
Wenn ich beobachte welches Gemetzel da gerade in FB stattfindet, dann erlebe ich denselben Aufruhr unter den Menschen, wie ich in mir erlebt habe. Entweder bin ich für den Shutdown, dann sind alle Bedenkenträger bzgl. unserer Grundrechte einfach nur unsolidarische Egoisten oder alle, die den Vorgaben der Regierung folgen meinungslose Lemminge. Da gibt es keinen echten Austausch mehr, kein einfühlen in das Momentum des Anderen. Nur noch, wenn du nicht für mich bist, dann bist du gegen mich. Trumpismus in Reinform. Spaltung droht, Aufruhr droht, Unfrieden droht. Das reicht hinein bis in die Familien, selbst in jene, die bisher in grosser Harmonie miteinander lebten.
Wenn wir diese innere Zerrissenheit ändern wollen, dann bleibt uns allen nichts anderes übrig als hinzuschauen. Hinzuschauen auf den ungeliebten Teil in uns. Das ist manchmal mühsam, tut unter Umständen auch weh und ist der einzige Weg um Trennung aufzulösen und in Verbindung und Frieden zu kommen.
Mich lehrt dieser Virus und seine Menschen gemachten Folgen, tagtäglich mir darüber klar zu werden, was fühlt sich stimmig an für mich und mein Leben und was nicht. Stimmig wird es immer dann, wenn ich alle beteiligten Gefühle in dieser Angelegenheit zu greifen und fassen bekomme.
Das gelingt mir nicht immer, weil es eben scheinbar leichter ist jemand anderen für meine Befindlichkeit verantwortlich zu machen als mir die Mühe zu geben, den ungeliebten Teil in mir aufzusuchen, um ihm die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm gebührt. Den Hitler in mir zu bewegen, dass er den schutzbedürftigen in mir umarmt, ist eben keine so angenehme Aufgabe, aber eine sehr heilsame.
Eine Aufgabe unter vielen, die der Virus uns stellt. Lasst uns anfangen das zu lernen. Es lohnt sich!